Horace Goldin

Stummer Wirbelwind  

 

 

 

Amerikanischer Zauberkünstler

1873 ‑ 1939

Im letzten Kurzportrait zu unserem Helden P.T. Selbit haben wir Horace Goldin einen „Ideenräuber“ genannt. Ein harsches Urteil, das zwar durchaus zutreffend ist, in dieser Ausschließlichkeit und darauf reduziert allerdings Horace Goldin nicht gerecht wird, wie Sie gleich erfahren werden.

 

Horace Goldin wird 1873 im baltischen Vilnius, zu dieser Zeit Russisch-Polen, als Hyman Elias Goldstein geboren. Als er 17 Jahre alt ist, emigrieren die Goldsteins, wie zu dieser Zeit viele jüdische Familien, in die USA. 

 

Sechs Jahre später betritt er unter dem Namen Horace Goldin als professioneller Zauberkünstler die Bühne und erntet sogleich herbe Kritik, in der sich über seinen Akzent lustig gemacht wird: „... exzellenter Zauberkünstler, aber wenn Sie ihn erleben wollen, sollten Sie sich Watte in die Ohren stecken ...“. Goldin fühlt sich getroffen und beschließt, niemals mehr ein Wort auf der Bühne zu sprechen. Konsequent baut er sich eine stumme Nummer mit einer sehr raschen Effektfolge „40 Tricks in 40 Minuten“ auf, die ihm den Titel „Wirbelwind-Zauberer“ einbringt und ihn bis an den Hof des britischen Königs Edward VII führt. Fortan bezeichnet er sich als „König der Zauberkünstler und Zauberkünstler der Könige“. Und er warnt seine Zuschauer davor, während der Vorstellung zu blinzeln, damit sie auf keinen Fall ein Kunststück verpassen. 

 

Sein Motto als kreativer Künstler lautet: „Nenne mir einen Effekt und ich werde ihn realisieren“. 1921 hört er von der „Zersägten Dame“ seines britischen Kollegen Selbit und er macht sich sofort daran, eine eigene Version dieser Illusion zu entwickeln. Schon bald lässt er sich „Die große Teilung“ patentrechtlich schützen. Und als Selbit kurz darauf in den USA gastiert, lässt Goldin ihm die Vorführung der „Zersägten Dame“ gerichtlich untersagen. 

 

Somit kann man Goldin zwar als „Ideenräuber“ bezeichnen, aber es gibt auch mildernde Umstände: Goldin kennt die tricktechnische Lösung seines Konkurrenten nicht, somit entwickelt er also eine ganz eigene Lösung. Außerdem hat schon Robert-Houdin in seinen Memoiren von einer Präsentation dieses Effektes im Jahre 1837 berichtet. Und Goldin macht die gleiche Erfahrung wie Selbit: Bereits ein Jahr später wird die Zersäge-Illusion von mehr als hundert Illusionisten weltweit gezeigt. 

Deshalb verbessert Goldin  seine Version und macht sie unter Verwendung einer riesigen Kreissäge zu seinem Markenzeichen. Dabei verwendet er wieder die Idee eines anderen, nämlich Fred Milanos, der ihm Einsicht in die Pläne zu seiner „Zerteilung einer jederzeit zur Gänze sichtbaren Person“ gewährt. Und Goldin inszeniert die Vorstellung seiner Kreissägen-Illusion publicitywirksam und spektakulär: Im Vorfeld fordert seine Assistentin öffentlich aufgrund des hohen Risikos die Erhöhung ihrer Versicherung. Ein Krankenwagen mit der Aufschrift „Ich fahre zum Theater, falls die Säge abrutscht“ fährt mit heulender Sirene durch die Stadt. Im Theater-Vorraum hält sich eine Gruppe von Leichenbestattern bereit ... 

 

Goldin bleibt mit seiner Kreissäge nicht alleine, sondern er findet zahlreiche Nachfolger; namhafte Künstler von Kalanag bis Copperfield greifen die Idee auf und interpretieren sie neu. Es ist in der Zauberkunst so, wie in jeder anderen Branche auch. Gute Ideen werden übernommen, weiterentwickelt und sich zu eigen gemacht. Ob es sich dabei um eine feindliche oder freundliche Übernahme handelt – dies kommt auf die näheren Umstände an ... Ganz offensichtlich dient es aber der Fortentwicklung des Zauberkunst.

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Quelle: Angel Idigoras Adventures of 51 magicians and a fakir