Die Leichtmanns

Rekordhaltende Zauberkönige

 

 

 Deutsch-Österreichische Zaubergerätehändler-Familie

 

Leonia  1854–1933

Josef  1855–1929

 

Charlotte  1882–1943

Rosa  1884–1968

Melanie  1887–1962

Leonie  1895–1968

 

Josef Leichtmann wird 1855 als Sohn eines Gutsbesitzers in Ungarn, damals Teil der Österreichisch-Ungarischen Doppel-monarchie geboren. 1876 zieht es ihn nach Wien, in die boomende Metropole des Habsburgerreiches, wo er 1880 Leonia heiratet. Josef versteht sich als Geschäftsmann und Leonia erweist sich als sowohl emanzipierte wie auch als geschäftstüchtige Frau. Gemeinsam gründet das Paar Läden mit Importartikeln aus dem Deutschen Reich und Galanteriewaren für die höheren Kreise und legt damit den Grundstein für den lang anhaltenden wirtschaftlichen Erfolg der Familie. Die eigentliche Leidenschaft Josefs gilt allerdings nicht den importierten „Nürnberger Waren“ (Haushaltswaren) sondern der Zauberkunst und somit den ebenfalls in Nürnberg zu dieser Zeit produzierten Scherz- und Zauberartikeln.

 

Auf einer seiner längeren Geschäftsreisen durch Deutschland gründet er in München und in Berlin jeweils ein Zaubergeschäft und nennt es „Zauberkönig“. Vier Kinder werden in Wien geboren: Maximilian und seine drei Schwestern Charlotte, Rosa und Melanie. Anfang der 1890er Jahre verlassen die Leichtmanns Wien, ziehen nach Berlin, wo Leonie geboren wird. Ab 1903 wird die Familie dann in München heimisch und Josef bald als Puppenspieler und „Zauberkönig vom Stachus“ stadtbekannt.

 

Tochter Charlotte heiratet den Berliner Kaufmann Arthur Kroner und beide übernehmen den Berliner „Zauberkönig“. Rosa wird die Ehefrau des – wie ihr Vater aus Ungarn stammenden – Zauberkünstlers János Bartl, zusammen führen sie das Zaubergeschäft am Hamburger Jungfernstieg, das in der Zauberbranche Weltgeltung erlangt. Melanie ehelicht Eduard Steinböck, beide etablieren den „Zauberkönig“ in Köln. Leonie und Otto Mösch heiraten in München und übernehmen nach Josefs Tod den bayerischen „Zauberkönig“. 

 

Josef  und Leonia können auf ihr Lebenswerk stolz ein. Vier renommierte Zaubergeschäfte in Deutschlands Großstädten, teilweise mit Filialen und Ablegern, wie bspw. dem Wiesbadener „Zauberkönig“ sind eine bemerkenswerte Leistung. Sie stellen den absoluten Rekord an „Zauberläden in Familienhand“ dar. Und in dieser Zeit kann man mit einem gut geführten Zaubergeschäft auch zu einem ansehnlichen Vermögen gelangen. Die „Zauberkönige“ gehören damit zur gehobenen bürgerlichen Gesellschaft. 

 

Eigentlich ist es die Intension dieser Serie von Kurzportraits, den Lesern ein Schmunzeln ins Gesicht zu zaubern, was jedoch angesichts des weiteren Verlaufs der Familiengeschichte der Leichtmanns nicht möglich ist. Denn, was bisher Privatsache war und im Geschäftsleben und in der Zauberkunst keinerlei Rolle gespielt hat, bekommt 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland plötzlich eine alles Existenzielle beherrschende Bedeutung: Die Leichtmanns sind eine jüdische Familie, sie werden damit zu Opfern der perfiden nationalsozialistischen Rassegesetze, ihr Besitz an Leben, Hab und Gut sind ernstlich bedroht. 

 

Josef († 1929) und Leonia († 1933) müssen die einsetzende Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Bürger Deutschlands nicht mehr erleben, aber ihre Töchter und deren Familien gehören zu den Leidtragenden des Rassewahns. Schritt für Schritt werden die jüdischen Mitbürger entrechtet, dann wird ihnen ihr Eigentum genommen, schließlich werden sie ermordet.

 

Die Leserschaft möge uns entschuldigen, dass wir zur Erläuterung der weiteren Entwicklungen gezwungen sind, der Logik und dem Sprachgebrauch der nationalsozialistischen Rassepolitiker folgen zu  müssen: 

 

Charlottes Ehemann Arthur ist ebenfalls Jude, damit sind beide und ihre drei Töchter als „Volljuden“ völlig schutzlos der Verfolgung ausgesetzt. Ihr Geschäft wird 1938 enteignet und arisiert. Es gelingt gerade noch, den Familien der beiden verheirateten Töchter die Emigration nach Amerika zu ermöglichen. Meta, die älteste Tochter ist unverheiratet, sie bleibt bei ihren Eltern in Berlin. 1942 wird sie verhaftet und 1943 in Auschwitz ermordet. Ihre Eltern sind gedemütigt, verzweifelt und in ständiger Angst vor der Deportation. Sie sehen nur noch einen Ausweg und nehmen sich 1943 das Leben.

 

Die anderen drei Schwestern sind zum Christentum übergetreten, haben „arische“ Deutsche geheiratet und leben somit in „privilegierten Misch­ehen“, die den jüdischen Ehepartnerinnen einen gewissen Schutz bieten. Melanies Ehemann ist allerdings 1926 verstorben, für die Nazis ist sie damit nichts weiter als eine „getaufte Jüdin“, 1938 wird das Geschäft zerstört und im Handelsregister gelöscht. 1943 wird sie in das Lager Theresienstadt deportiert. Aber sie hat zumindest so viel Glück, dass sie nicht weiter nach Osten in die Vernichtungslager transportiert wird, sondern Seuchen, Hunger und andere Plagen übersteht und die Befreiung von Theresienstadt 1945 erlebt.

 

Man mag sich nicht ausmalen, welche Sorgen sich ihre Schwestern Rosa und Leonie um ihre Angehörigen machen, wenn immer neue Schreckensnachrichten eintreffen und welche furchtbaren Ängste sie angesichts der Unsicherheit ihres eigenen Schicksals ausstehen müssen. Aber sie haben insofern Glück, als dass die „privilegierte Mischehe“ sie tatsächlich vor weiterer Verfolgung schützt. Unklar bleibt, inwieweit auch noch andere Menschen aus ihrem Umfeld das ihnen Mögliche tun, um sie vor Schlimmeren zu bewahren.  

 

Nach dem Krieg werden die Zauberläden in München, Berlin, Hamburg und Köln aus den Trümmern wieder aufgebaut und von den Überlebenden und auch neuen Eigentümern weitergeführt. Die Unbeschwertheit und der Glanz der „Zauberkönige“ kehren jedoch nicht mehr zurück. 

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Quelle: Birgit Bartl-Engelhardt  Die Leichtmann Chronik • Berlin • München • Köln