Jean Eugéne Robert-Houdin

Genialer Perfektionist

 

 

Französischer Erfinder und Zauberkünstler

1805-1871

 

 

 

Endlich – mit einundvierzig Lebensjahren und nach zwanzig Jahren der Vorbereitung steht Jean Eugéne auf der Bühne seines eigenen kleinen Theaters im Palais Royal in Paris. Es ist die Premierenvorstellung „Soirées fantastiques“, doch die 200 Plätze sind nur mäßig belegt und das Lampenfieber raubt ihm fast den Verstand. Die Vorstellung beginnt, und nahezu alles, was in unzähligen Proben eingeübt wurde, hat sich schlagartig im Angstschweiß verflüchtigt. Wie in Trance spult Jean sein Programm ab, er realisiert, dass ihm jede Gelassenheit fehlt, er spricht zu schnell und noch auf der Bühne macht sich eine große innere Verzweiflung breit. Seine Vorführung erntet nur mäßigen Applaus, der weniger dem Künstler selbst, als eher den von ihm gezeigten neuartigen Apparaten gilt.  – Es ist ein Desaster – und keiner ist sich dessen bewusster als Jean selbst. Gedemütigt zieht er sich in eine lange und schlaflose Nacht zurück und seziert immer wieder den Ablauf des Abends. Streng geht er dabei mit sich ins Gericht, jeder Fehler, jede Ungeschicklichkeit mutiert in dieser Nacht zu einer katastrophalen Todsünde. Jean verflucht sein Schicksal  und schwört, nie wieder eine Bühne betreten zu wollen. Vielmehr wolle er sich wieder auf das konzentrieren, was er von der Pieke auf gelernt hatte – das Uhrmacherhandwerk und den Bau feinmechanischer Apparate. Sein Vater war ebenso Uhrmacher wie auch sein Schwiegervater, welchem er neben der Hand der bildhübschen Joséphe Cécilie auch die Anstellung in dessen gut gehender Werkstatt und den Zweitnamen Houdin verdankt. Sein wacher Geist und sein handwerkliches Geschick waren eigentlich die besten Voraussetzungen, um mit dem Bau von Uhren und raffinierten Apparaten eine glänzende Karriere zu machen.


In dieser Nacht verdammt er auch den Tag vor 20 Jahren, als er durch Zufall in einem Antiquariat das zweibändige Werk „Lexikon der amüsanten Wissenschaften“ in Händen hielt. Hier erfuhr er all die Geheimnisse, die er wissen wollte, seitdem er einen Gaukler das Becherspiel vorführen sah. Hier las er, wie durch Handfertigkeit Unmögliches bewerkstelligt wird und sogar, wie man die Gedanken eines anderen lesen kann. Diese Erkenntnisse ließen Jean nicht mehr los, er übte alles ein, was er gelesen hatte und verknüpfte dieses Können schon bald mit seiner beruflichen Erfahrung und seinem Wissen im Bau feinmechanischer Geräte. Regelmäßig besuchte er die Vorstellungen berühmter Zauberkünstler wie Bartolomeo Bosco, Louis Comte oder Philippe, deren Programme er akribisch  analysierte. Und so sehr er diese Künstler auch bewunderte, schwor er sich, niemals ein Kunststück vorzuführen, bei dem die Möglichkeit eines technischen Versagens bestand. Denn Jean ist Perfektionist.


Nach dieser Nacht will Jean sein Theater wieder schließen, doch als tags drauf ein „guter“ Freund ihm erklärt, dass er ihn ja schon immer vor einem solchen Abenteuer gewarnt habe und deshalb die Schließung des Theaters der richtige Schritt sei, ist Jean tief gekränkt und schwenkt vor Wut und mit verletztem Stolz wieder um. Er erklärt seinem „ Freund“, dass er leider keine Zeit mehr habe, da er die Abendvorstellung vorbereiten müsse.


Und die Entscheidung, auch nach einer schmerzenden Niederlage nicht aufzugeben, sondern jetzt erst recht weiterzumachen ist der Start einer wirklich phänomenalen Karriere. Mit jeder Vorstellung wird Jean besser und gewinnt mehr Sicherheit. Die Kritiker werden auf ihn aufmerksam und loben seine mechanischen Wunderwerke und sein neuartiges Auftreten als Zauberkünstler.


Jeans Wagemut wird belohnt, innerhalb weniger Jahre steigt er zum führenden Zauberkünstler Frankreichs auf, er zaubert für die feine Gesellschaft und unternimmt Tourneen nach Großbritannien und Deutschland. Seine Erfindungen sind legendär, wie z.B. der Schwebende Knabe (“Besenschwebe“), Gedankenlesen oder die Unerschöpfliche Flasche (“Magische Bar“). Viele seiner Illusionen beruhen auf trickreicher Mechanik und dem Einsatz von Elektrizität. Anstatt der Gewänder, in denen die klassischen Gaukler bis dahin vor ihr Publikum traten, bevorzugt Jean stilsicher elegante zeitgemäße Kleidung und einen intellektuellen Stil, der auch ein gebildetes Publikum anspricht. Damit prägt er für Generationen das Erscheinungsbild des modernen Zauberkünstlers.


Unvergessen bleibt sein Selbstverständnis: Ein Zauberkünstler ist ein Schauspieler, der einen Zauberer spielt.
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Quellen: Angel Idigoras: Adventures of 51 magicians and a fakir
                Rydell/Gilbert: Das große Buch der magischen Kunst.
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