Harlan Tarbell - Leben und Werk

Harlan Tarbell wurde am 23. Februar 1890 als erstes von drei Kindern von Charles und Annie (Orendorff) Tarbell in Delavan (Illinois) geboren und er wuchs in Groveland (Illinois) auf. Sein Vater handelte u.a. mit Vieh und verkaufte z.B. auch  Pferde an den Hagenbeck-Wallace Zirkus.

 

Als er in einer Sonntagszeitung Trickbeschreibungen fand, war sein Interesse fürs Zaubern geweckt. Er besuchte Vorführungen von Ed Reno, Eugene Laurant und war ganz besonders von Herrn Jansen (Dante) beeindruckt.

 

Mit 11 Jahren belegte er einen Fernlerngang im Freihand-Zeichnen, und bereits mit 12 Jahren begann er sein zeichnerisches Talent zu vermarkten, indem er Illustra-tionen für die Lokalzeitung anfertigte. Ab 1909 arbeitete er bei der kanadischen Zauberfachzeitschrift Edwards Monthly mit. Unter anderem dort bot er im Kleinanzeigenteil seine Dienste als Zeichner und Illustrator an.

 

Mit 14 Jahren, 1904 brachte er sein erstes kommerzielles Kunststück "Satans Farbwechsel" heraus, das von der Zauberfirma A. Roterberg/Chicago vermarktet wurde. 1909 entwickelte er die seitdem populären "Farbwechselnden Seidentücher", die er zunächst zur exklusiven Nutzung für einige Jahre an Okito verkaufte. Heute findet sich dieses Kunststück in praktisch jedem Sortiment von Zaubergerätehändlern und in jedem zweiten Zauberschrank.

 

1911 zog Harlan Tarbell nach Chicago und besuchte Kurse an der Akademie für Schöne Künste. Nachdem er einige medizinische Zeichnungen angefertigt hatte, schrieb er sich auch am Institut für Naprapathie als Student ein. Naprapathie ist eine Heilmethode, die um 1900 in den USA entwickelt wurde. Die Bezeichnung setzt sich zusammen aus dem tschechischen Wort „napravit“ = „korrigieren“ und dem griechischen Wort „Pathos“ = „Leiden“. Naprapathie ist eine natürliche Heilmethode, die Schmerzen lindern und Leiden korrigieren kann. Später (1922) schrieb er hier eine Arbeit (Thesis) mit dem Titel „Naturgegebene chemische Eigenschaften des Menschen“ und durfte fortan den Doktortitel führen. Seine Freunde nannten ihn zeitlebens „Doc“, was er mit einem Augenzwinkern quittierte.

Seinen Lebensunterhalt verdiente Tarbell mit graphischen Arbeiten für ganz verschiedene Auftraggeber, von der Morton Salz Company oder der Spielzeugfirma Tinkertoy bis zu Illustrationen für die  Zauberkataloge der Nachfolger von A. Roterberg, der Chicago Magic Company, vormals Read & Covert. Außerdem arbeitete er als halb-professioneller Zauberkünstler.

 

1917 wurde er zur Sanitätsabteilung der 24. Ballon-Kompanie nach Frankreich eingezogen. Außerhalb des Dienstes unterhielt er seine Kameraden mit Zaubervorstellungen und in späteren Jahren seine Zuhörer mit skurrilen Anekdoten aus dieser Episode militärischer Ballonfahrt.

 

Nach dem Ende des 1. Weltkrieges blieb er noch einige Zeit in Paris und arbeitete im Pariser Studio seiner Cousine Ida M. Tarbell, einer seinerzeit sehr bekannten Autorin und Wegbereiterin des investigativen Journalismus. Er illustrierte den Weltkriegs-Ballon-Atlas, avancierte zum Art Director des Roten Kreuzes und studierte bei dem französischen Impressionisten Claude Monet.

30jährig kehrte er 1920 zurück nach Chicago und heiratete im gleichen Jahr Martha Beck. Aus dieser zeitlebens glücklichen Verbindung gingen zwei Kinder und fünf Enkel hervor. 1926 zogen die Tarbells nach Elmhurst/Illinois .

Tarbells erstes Chalk Talk Buch von 1920
Tarbells erstes Chalk Talk Buch von 1920

1920 verfasste Tarbell sein erstes Buch zum Schnellzeichnen "Chalk Talk", ein Titel, der sich nur mit Schwierigkeiten ins Deutsche übersetzen lässt. „Chalk“ heißt „Kreide“ und „Talk“ bedeutet „Vortrag“, --- „Zauber-Zeichnen“, „Plauder-Bilder“ sind näherungsweise Übertragungen dieses in den 20er und 30er Jahren in den USA sehr beliebten Showgenres. Dem ersten Buch zu diesem Thema sollten bis 1931 noch vier weitere folgen.

 

In diesen Jahren entwarf er weiterhin Werbeplakate, fertigte Buch-Illustationen und Poster z.B. für Redpath Chatauqua, die im ganzen Land Veranstaltungen zur allgemeinen Unterhaltung und Volksbildung veranstalteten. Zeitweise war er Art Editor beim Photoplay Magazine.

 

Seine große Stunde schlug 1926, als die Verleger T. Grant Cooke und Walter A. Jordan einen Fernkurs in Zauberkunst planten. Derartige zu Hause zu absolvierende Studiengänge waren in diesen Jahren sehr populär und die beiden somit auf der Höhe ihrer Zeit. Bereits 10 Jahre zuvor hatte der Brite Will Goldston einen Zauber-Fernlehrgang auf den Markt gebracht, und man kann darüber spekulieren, ob dieser als Ideengeber gewirkt haben könnte.

 

Zunächst wurde versucht, Harry Houdini als Autor zu gewinnen, dann sollte Walter Baker schreiben und Harlan Tarbell illustrieren. Schließlich war es dann aber Tarbell allein, der in nur zwei Jahren die 60 Lektionen des von Anfang an nach ihm benannten Tarbell Systems verfasste und mit 3.100 Zeichnungen illustrierte. Der Kurs wurde mit großem Aufwand beworben und Tarbell selbst als Werbeträger groß herausgestellt.

 

Die Studenten erhielten alle 10 Tage einen Lehrbrief “Lesson” (= Lektion), der durchzuarbeiten war. “Lesson” 1 hatte 16 Seiten und Tarbell begann den Kurs mit dem ersten Teil der Geschichte der Zauberkunst, die er in den folgenden Lehrbriefen fortsetzte und in “Lesson” 6 beendete. In “Lesson” 1 finden sich daran anschließend noch weitere einführende Erläuterungen über den Umgang mit den Lehrbriefen und ein Überblick über die Grundsätze der Zauberkunst, wie beispielsweise “Wiederhole kein Kunststück!”. Der erste Trick, den Tarbell erklärte, war das Münzverschwinden mit Hilfe einer Glasscheibe, eine solche hatten die Studenten zusammen mit der ersten “Lesson” erhalten. Anhand dieses Kunststücks wurde den Studierenden als erster Kunstgriff das Palmieren einer Münze vermittelt (siehe TARBELL - Die Grundlagen der Zauberkunst 3-5, Seite 36).

 

Das Tarbell System wurde ca. 10.000 Mal verkauft, doch mit der Weltwirtschaftskrise von 1928 und der nachfolgenden Depression gingen die Bestellungen so weit zurück, dass der Verkauf und die Betreuung des Lehrganges 1931 eingestellt werden mussten.

Zwei Seiten aus dem Kleinanzeigenteil von Popular Mechanics vom März 1929, einem Magazin für Wissenschaft und Technik, das seit 1902 ununterbrochen erscheint. Gleich daneben bietet A.P. Felsmann seine Dienste unter dem Motto "Werde Zauberkünstler an!"
Zwei Seiten aus dem Kleinanzeigenteil von Popular Mechanics vom März 1929, einem Magazin für Wissenschaft und Technik, das seit 1902 ununterbrochen erscheint. Gleich daneben bietet A.P. Felsmann seine Dienste unter dem Motto "Werde Zauberkünstler an!"

Der Kurs war innerhalb weniger Jahre von einem Ende der Welt bis ans andere verkauft worden, seine hohe Qualität wurde allseits gerühmt, er wurde zum Standard-Nachschlagewerk der Zauberkunst und gab dem Namen Harlan Tarbells eine einzigartige Strahl-kraft.

 

Tarbell arbeitete als professioneller Zauberkünstler, schrieb einige “Minstrel Shows” für Dennison & Co., bei denen auch seine Chalk Talk-Bücher erschienen. Er produzierte sogar einen Film mit Buck Rogers, in dem er auch eine Rolle übernahm. Und er illustrierte Bücher, unter anderem medizinische Bücher von Dr. R. Stone und als besonders herausragende Arbeit 1938 das monumentale Werk Hilliard’s Greater Magic, für das er 1.150 Zeichnungen fertigte.

 

1941 erwarb Lou Tannen das Copyright des Tarbell Systems und überarbeitete gemeinsam mit  Harlan Tarbell und Ralph W. Read die alten “Lessons”, um sie in Buchform auf den Markt zu bringen. Die “Lessons” wurden thematisch zusammengefasst, neue Zeichnungen und Texte gefertigt und es entstand zwischen 1941 und 1954 der TARBELL Course in Magic als sechsbändige Buchreihe mit 83 Lektionen.

 

1972 kam ein siebter Band aus der Feder von Harry Lorayne, illustriert von Ed Mitchel, hinzu.

 

1993 folgte Band 8. Originaltexte und Zeichnungen von Harlan Tarbell, die noch nicht innerhalb des Kurses, sondern nur andernorts erschienen waren, wurden von Richard Kaufman zu neuen Lektionen zusammengefasst.

 

Das Gesamtwerk gliedert sich heute im englischsprachigen Original in 103 Lektionen auf 3.400 Seiten mit mehr als 8.200 Abbildungen. Es ist das umfassendste Werk zur Zauberkunst, das jemals erschienen ist.

 


Auf dem nebenstehenden Foto sehen Sie links die Lesson 43 des Tarbell Systems von 1927 mit dem zugehörigen frankierten und abgestempelten Umschlag, in dem sie seinerzeit ihren Adressaten erreichte.

 

Auf dem Umschlag liegt eine Tarbell-Münze, die extra für den Kurs geprägt worden war und das Konterfei Harlan Tarbells zeigt.

 

Rechts im Bild sind zwei Buchdeckel, zwischen denen die oben gelochten “Lessons” entweder mittels einer Kordel oder wie hier mit Schrauben eingebunden wurden. Die 60 “Lessons” fanden in drei solcher Ordner Platz.

 

Das Foto zeigt Harlan Tarbell in den 1930er Jahren.

 

Im Hintergrund sehen Sie die “Wall Chart”, ein Poster mit 60 Fotos von Harlan Tarbell, in einer zur jeweiligen “Lesson” passenden Pose. Die Studierenden sollten in entsprechende Felder der “Wall Chart” eintragen, wenn Sie eine “Lesson” erfolgreich durchgearbeitet hatten und konnten so ihren Fortschritt und Erfolg kontrollieren.

Harlan Tarbell war 1949-50 Präsident der S.A.M. (Die Society of American Magicians ist die älteste Vereinigung von Zauberkünstlern weltweit). Einer breiten Öffentlichkeit wurde er durch seine “Lecture-Tours” bekannt, die landesweit von “Lecture Büros” organisiert wurden und der Volksbildung in Amerika dienten. Diese Vortragsreisen, bei denen auch gezaubert wurde, führten Tarbell seit 1929 in jede größere Stadt der USA und nach England, Frankreich, Mexiko, Kanada und Hawai. Zweimal (1945 und 1947) war er im LIFE-Magazin abgebildet.

 

Harlan Tarbell war ein Mann fester Grundsätze, er führte ein klar geregeltes und im christlichen Glauben verankertes Leben, er war ein strenger Vegetarier und steuerte niemals selbst ein Auto. Skandalgeschichten überließ er anderen, lieber konzentrierte er sich auf seine Arbeit. Er vertrat die Doktrin einer universellen Liebe unter den Menschen und versuchte im Umgang mit seinen Mitmenschen danach zu leben.

 

Er wird als liebenswerte distinguierte Persönlichkeit mit einem freundlichen Lächeln beschrieben, zeitlebens schlank, leicht nervös und mit einigen exzentrischen Marotten, die ihm aber gerne nachgesehen wurden.

 

13 Jahre nach dem Tod seiner Frau verstarb Harlan Tarbell im Alter von 70 Jahren am 16. Juni 1960.